19.–20. Sept. 2024
Universität Wien
Europe/Vienna Zeitzone
Das Programm ist online - die Anmeldung ist möglich.

Zum Zusammenspiel der Akteur:innen im Unterricht mit digitalen Artefakten

Nicht eingeplant
30m
Institut für Bildungswissenschaft (Universität Wien)

Institut für Bildungswissenschaft

Universität Wien

Sensengasse 3a 1090 Wien
1 - 15/15 Vortrag vor Ort Junges Netzwerk Medienpädagogik (Doktorand:innen) Junges Netzwerk Medienpädagogik (Doktorand:innen)

Beschreibung

Seit der Coronapandemie hat der Begriff Digitalisierung im schulischen Kontext Konjunktur. Um sich daran anzunähern, was der Einzug digitaler Artefakte in Schule bedeutet, bietet sich an, auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungsprozesse zu schauen, da Schule von diesen nicht unberührt bleibt (Asbrand et al. 2021; Bettinger 2018; Rademacher/Wernet 2015; Zala-Mezö et al. 2022). Kulturwissenschaftliche Konzepte wie die (tiefgreifende) Mediatisierung (Hepp/Hartmann 2010) oder die Kultur der Digitalität (Stalder 2016) zeigen die Verwobenheit technologischen Fortschritts mit dem gesellschaftlichen Wandel auf. Mit dem Begriff Post-Digitalität (Cramer 2015) wird darüber hinaus der Dualismus von digital und analog aufgelöst. Diese unsichtbare, unauflösbare Verwobenheit von technologischen und gesellschaftlichen Transformationsprozessen sowie von digitaler und analoger Sphäre legt eine postanthropozentrische Betrachtungsweise nahe (Bettinger 2023; Engel/Karpowitz 2021). Die Dezentrierung des Subjekts und das Zugeständnis von Handlungsfähigkeiten der dinglichen Umwelt (z.B. i. S. von Affordanzen) (bspw. Wieser 2023) bedingt einerseits, dass Subjekte als relational betrachtet werden müssen, andererseits schließt es aus, Dinge als neutrale Werkzeuge zu betrachten.
Subjekte konstituieren sich also „im Zusammenspiel von Räumen, Dingen, und Menschen“ (Engel/Muñoz 2022: 146, s. dazu auch Butler 2021 [2001]). Um die empirische Frage, welche Rolle die Dinge in diesen Relationen spielen, theoretisch zu rahmen, kann in Latours Akteurs-Netzwerk-Theorie eine dies ermöglichende „symmetrische[] Beobachtungs- und Beschreibungssprache“ (Rammert 2007: 10) gesehen werden (vgl. auch Asbrand/Martens 2018). Handeln kann nach Latour (2022 [2002]) nur in der „Verbindung von Aktanten“ (221) realisiert werden. Im Kontagion (Mannheim 1980) entsteht durch wechselseitige Auseinandersetzung von menschlichem Habitus und technischem Quasi-Habitus ein geteilter Erfahrungsraum (Mannheim 1980; Schäffer 2013; Bettinger 2018, 2023; Asbrand/Martens 2018), der dem entstehenden Hybridakteur „neue Möglichkeiten, Ziele und Funktionen“ (Latour 2022 [2002]:221) eröffnet. Bei Hybridakteuren, die mit digitalen Artefakten „als ein bestimmter Typ medialer Artefakte“ (Bettinger 2018: 133) gebildet werden, müssen ihre spezifischen Eigenheiten betrachtet werden (Bettinger 2023). Mit dem Konzept der Medialität besteht das Potenzial digitale Artefakte nicht durch die Differenzierung in Einzelmedien auf ihre materiellen Eigenschaften zu reduzieren, sondern über die Betrachtung „übergreifender Form- und Strukturaspekte“ (Jörissen 2014: 503; 2017 zu Strukturaspekten digitaler Artefakte) als sozio-medial zu begreifen. Auf Basis von Materialität und Semiotik, entsteht der nicht-materielle Teil des Mediums, also das symbolische Produkt, in dessen Wahrnehmung eine Immaterialisierung der anderen Ebenen stattfindet (Jörissen 2014). So tritt beispielsweise die Software in den Hintergrund, die unvorhergesehene Nutzungsweisen stark reglementiert, da „jede Gebrauchsoption eigens als Programmcode implementiert werden“ (Jörissen 2015: 230) muss (s. auch Richter/Allert 2017).
Unterricht „als System der Interaktion unter Anwesenden“ (Luhmann 2020 [2002]: 56) wurde unter dargelegtem theoretischen Blickwinkel – insbesondere dem Zusammenspiel seiner Akteur:innen – bisher kaum beforscht. Viele Studien nehmen entweder die in Schule eingesetzten digitalen Artefakte (bzw. Software oder Applikationen) oder die auf sie bezogene Interaktion in den Blick (Rabenstein et al. 2022; Proske/Rabenstein/Thiersch 2023). In jugendtheoretischen Studien (bspw. Engel/Jörissen 2019; Flasche/Carnap 2021) konnten neue/veränderte Praktiken der Subjektwerdung rekonstruiert werden, die nach ersten Betrachtungen auch im schulpädagogischen Kontext von Relevanz sind (bspw. Engel/Karpowitz 2021). Die mediale Konstituiertheit von Subjektivierungsprozessen in diesem Sinne, ist in den meisten unterrichtsbezogenen Studien nicht im Fokus (bspw. Mayer/Jornitz 2022; Herrle et al. 2023; Bezüge zu Subjektivierungstheorie finden sich bspw. bei Rabenstein et al. 2023; Macgilchrist et al. 2023; Wagener-Böck et al. 2023).
Vor dem dargelegten theoretischen Hintergrund gilt das eigene empirische Interesse dem Zusammenspiel der Akteur:innen im Unterricht mit digitalen Artefakten. Aus der Forschungsfrage „Wie werden in der Unterrichtsinteraktion mit digitalen Artefakten die Akteur:innen (LuL, SuS, (digitale) Dinge) und ihre Relationen ko-konstitutiv hervorgebracht?“ ergeben sich letztlich zwei aufeinander aufbauende Fragen: Die Frage nach der Konstitution von Mensch-Technologie-Verhältnissen in der Unterrichterrichtsinteraktion und die daran anschließende Frage nach Prozessen der Subjektwerdung in diesen Verhältnissen.
Erhebungsmethodisch soll hierzu schulischer Unterricht mit digitalen Artefakten videographiert und zusätzlich mittels Screenrecordings die Bildschirmaktivität der verwendeten Geräte aufgezeichnet werden. Die Daten werden rekonstruktiv mit der Dokumentarischen Methode für Unterrichtsforschung (Asbrand/Martens 2018) und ihrer subjektivierungstheoretischen Erweiterung (Engel/Karpowitz 2021, Geimer/Amling 2019, Rose/Ricken 2018) ausgewertet. Inwiefern eine zusätzliche Analyse der angewandten Software/Applikationen –also unabhängig vom Erhebungskontext– notwendig ist, um die unsichtbaren Strukturen/die Medialität der digitalen Artefakte rekonstruieren zu können, wird sich im Auswertungsprozess zeigen. Ziel der Arbeit ist es, aus der Empirie heraus eine Theorie zu entwickeln, die das Verständnis der Rolle von digitaler Medialität für im Unterricht stattfindende Subjektivierungs- und Bildungsprozesse erweitert.
Format
In einem 15-minütigen Präsenzvortrag soll das Vorhaben dargelegt und das Vorgehen der Auswertung beispielhaft an erstem Material verdeutlich werden.
Critical Friend
Ich würde mich freuen, wenn sich Prof. Dr. Patrick Bettinger dazu bereit erklären würde, mir Feedback zu geben.
Kurz-Vita
Nach dem 1. Staatsexamen für das Lehramt an Grundschulen, absolvierte ich von 2019-2022 das Masterstudium Erziehungswissenschaften an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seit Juni 2022 arbeitete ich als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Pädagogik der Sekundarstufe am Arbeitsbereich Allgemeine Didaktik und Schulentwicklung unter der Leitung von Prof.in Dr. Barbara Asbrand. Im Januar 2024 wechselte ich Instituts intern zum neugeründeten Arbeitsbereich Digitalisierung und Schule unter der Leitung von Prof.in Dr. Caroline Grabensteiner.
Literatur
Asbrand, B., Hummrich, M., Idel, T.-S. und Moldenhauer, A. (2021) Bezugsprobleme von Schulentwicklung als Theorieprojekt. Zur Einleitung in diesen Band. In A. Moldenhauer, B. Asbrand, M. Hummrich und T.-S. Idel (Hrsg.), Schulentwicklung als Theorieprojekt. Forschungsperspektiven auf Veränderungsprozesse von Schule (1-13). Wiesbaden: Springer VS.
Asbrand, B., & Martens, M. (2018). Dokumentarische Unterrichtsforschung. Wiesbaden: Springer VS.
Bettinger, P. (2018). Praxeologische Medienbildung. Theoretische und empirische Perspektiven auf sozio-mediale Habitustransformationen. Wiesbaden: Springer VS.
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Wagener-Böck, N. Macgilchrist, F., Rabenstein, K. und Bock, A. (2023). From Automation to Symmation: Ethnographic Perspectives on What Happens in Front of the Screen. In Postdigital Science and Education (5), 136–151. https://doi.org/10.1007/s42438-022-00350-z
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Poster Nein

Hauptautor

Katharina Kanz (Goethe-Universität Frankfurt am Main)

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