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Beschreibung
Vorliegender Beitrag stellt zentrale Erkenntnisse einer Dissertationsarbeit zur Darstellung medienbezogener, beruflicher Anforderungen berufseinsteigender Primarstufenlehrpersonen im Rahmen ihrer Entwicklungsfelder sowie habituell bedingter Transformationen und Erfahrungsräume im Schulumfeld dar (Pecher, 2024).
Der Berufseinstieg gilt sensibler Zeitabschnitt, in dem Lehrpersonen neben vielen weiteren auch Medienkompetenzen erwerben. Die berufliche Einstiegsphase wird dabei als prägender und persönlichkeitsbeeinflussender Abschnitt beschrieben (Terhart, 2014). Handlungsmuster und Handlungsroutinen, die in diesem Zeitraum gebildet und gefestigt werden, bleiben über weite Bereiche des Berufslebens bestimmend und sind dadurch kennzeichnend für die spätere Art der Berufsausübung (Hurrelmann et al., 2015; Messner & Reusser, 2000).
Die biografische Kompetenzentwicklung kann in vier Entwicklungsbereiche „Person“, „Sache“, „Lernende“ und „Institution“ dargestellt werden (Hericks & Keller-Schneider, 2020). Aus einer Synthese der berufsbiografischen Professionalisierung mit medienbezogenen Kompetenzmodellen (Blömeke, 2000; Tulodziecki, 1998, 2012) wurde ein Modell der „medienbezogenen Entwicklungsfelder“ (Pecher, 2023) konzipiert.
Das Entwicklungsfeld Person umfasst einerseits die Reflexion des persönlichen Medienzugangs. Dabei wird die eigene Rolle als Lehrkraft reflektiert; die eigene Mediennutzung hinterfragt und an berufliche Anforderungen angepasst. Persönliche sowie erworbene medienpädagogische Kompetenzen werden evaluiert und bei einer Inkongruenz mit dem Wunsch nach Kompetenzerwerb beantwortet. Dies bedingt das Hinterfragen des eigenen medialen Habitus im beruflichen Umfeld.
Das Entwicklungsfeld Sache beinhaltet die mediengestützte, didaktische Vermittlung von Fachinhalten. Dabei sind standortbezogen Medienvoraussetzungen zu berücksichtigen. Der Medieneinsatz soll dabei reflektiert, situativ bewertet und an Lernprozessen sowie Schulwirklichkeiten orientiert werden.
Das Entwicklungsfeld Lernende bezieht sich auf die medienerzieherische Anpassung des Unterrichts an die jeweilige Lernstandvoraussetzung. Dies erfordert eine Kenntnis der Medienwelt sowie eine Differenzierung nach dem Wissenstand der Lernenden. Zu entwickelnde Unterrichtskonzepte können die Möglichkeit der Reflexion und Bewertung von Medienleistungen beinhalten.
Das Entwicklungsfeld Institution wird vom Erkennen und Anpassen des eigenen Medienhandelns im beruflichen Umfeld bestimmt. Die Mitgestaltung medienbezogener Rahmenbedingungen kann in der Übernahme von Aufgabenbereichen wie der Betreuung von Webseiten und der Übernahme von Kustodien manifest werden. Auch die medienbezogene Kommunikation mit Schulleitungen, der Kollegenschaft sowie mit Erziehungsberechtigten wird dabei adressiert. Dazu werden Reflexionen und Anpassungen oder Neuinterpretationen dispositiv bedingte Handlungspraxen in schulischen Erfahrungsräumen notwendig.
Bei der Darstellung medienbezogener Kompetenzentwicklungen im Berufseinstiegsjahr gewinnt die Transitionsphase hin zur eigenverantwortlichen Lehrperson an Bedeutung. Dabei werden Einstellungen und Deutungsmunster der Berufseinsteigenden im Spannungsfeld zwischen Habitus und beruflichen Anforderungen infolge der Konfrontation mit unterrichtlichen Situationen geändert oder neu interpretiert (Rauschenberg & Hericks, 2018). Medienbezogen kann das Spannungsfeld zwischen familiärem Herkunftsmilieu und beruflichen Normen mit dem Konzept des medialen Habitus nach Swertz (2003) und Kommer (2006) beschrieben werden. Berufliches Medienhandeln wird mit der eigenen Persönlichkeit in Bezug gesetzt, wobei medienbezogene Dispositionen als Erzeugungs- und Ordnungsgrundlage für berufsbezogene, mediale Praktiken fungieren (Biermann, 2013).
Wie durch die Verinnerlichung bewährter Deutungen, Routinen und Erwartungen im neuen beruflichen Umfeld ein Berufshabitus erzeugt wird, beschreiben Kramer & Pallesen (2018) und Helsper (2018). Dabei ist die aktive Initiierung von berufsbezogenen Krisen und deren Bearbeitung, eine Reflexivität und grundlegende Reflexionsfähigkeit, die Gestaltung eines pädagogischen Arbeitsbündnisses sowie die Entwicklung eines Fallverstehens bedeutsam.
Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde die Darstellung medienbezogener Handlungspraxen in den beschriebenen vier Entwicklungsfeldern „Person“, „Sache“, „Lernende“ und Institution“ mittels einer zweiteiligen Interviewstudie an 15 berufseinsteigenden Lehrpersonen durchgeführt. Die Interviewdaten wurden nach Kuckartz & Rädiker (2022) ausgewertet und anhand einer strukturierenden sowie einer typenbildenden Inhaltsanalyse dargestellt und interpretiert. Im Zuge der Analyse und Auswertung kann gezeigt werden, dass Berufseinsteigende ihre berufsbezogene Mediennutzung reflektieren und ausbalancieren und Professionalisierung an sich selbst oder an die Institution adressieren. Der Medieneinsatz im Unterricht erfolgt weniger didaktisch-methodisch und bewertend, dafür häufiger zur Motivationssteigerung und als Belohnung. Medienbezogene Aufgabenbereiche werden oftmalig übernommen.
Im Zuge einer typenbildenden Inhaltsanalyse konnten die beiden Mediennutzungstypen „Medienreservierte“ und „Medienengagierte“ gebildet werden. Die Typisierung weist zudem Bezugnahmen zu früheren medialen Habitustypen (Kommer & Biermann, 2012) auf, deren Habitusdarstellung an die Forschungen Bourdieus (1982) anknüpfen.
Medienreservierte kennzeichnet einen eher zurückhaltenden und zweckorientierten Medienzugang. Digitalen Medien wird mehrheitlich wenig Lernwirksamkeit zugeschrieben. Die Nutzung von Medien zur beruflichen Kommunikation wird als Notwendigkeit gesehen. Die Übernahme medienbezogener Aufgabenbereiche geschieht häufiger aus normativen Zwängen. Medienengagierte hingegen kennzeichnet einen aktiveren bis begeisterten sowie reflektierten Medienzugang. Die Entwicklung mediendidaktischer und medienerzieherischer Kompetenzen werden häufig mit einer gesellschaftlichen Notwendigkeit sowie vermuteter Lernwirksamkeit adressiert. Medienaufgaben werden oft eigeninitiativ übernommen. Medienkommunikation am Berufsort wird als nützlich erachtet, jedoch steht die Ausverhandlung von Hierarchien, Regeln und Etiketten vergleichsweise stärker im Mittelpunkt. Auch kann festgehalten werden, dass Schulkulturen förderlich oder hemmend wirken können.
Zur Herausbildung eines medialen Berufshabitus, anknüpfend an Helsper (2018a, S. 129) der „Habitus der man nicht mehr ist, sondern den man hat“, können drei Dimensionen dargestellt werden:
Erstens stellt die Bearbeitung der eigenen medienbezogenen Herkunft in Form von Reflexionen der Medienvorlieben einen bedeutsamen beruflichen Integrationsfaktor dar. Dies inkludiert die berufsbezogene Evaluation der privat genutzten Medien mit Medienausstattungen an den Schulen. Initiierte Professionalisierungsansprüche werden an die eigene Person oder die Institution adressiert.
Zweitens erfordern medienbezogene Unterrichtsformen die aktiv betriebene Initiierung von oft krisenhaften Antinomien in Bezug auf medienpädagogische Wissens- und Normvermittlung. Widersprüchlichkeiten persönlicher Vorstellungen mit Schulwirklichkeiten werden häufig mit privaten oder erworbenen Medien ausgeglichen. Klassen- und Gruppenzusammensetzungen sind weitere Auslöser beruflicher Krisenmomente, wobei ein medienengagierter Herkunftshabitus eine aktivere Bearbeitung beruflicher Anforderungen unterstützt.
Drittens bedarf die Gestaltung medienbezogener integrativer und kooperativer Arbeits-bündnisse in der Auseinandersetzung mit Widersprüchen sowie dem Umgang mit struktureller Ungewissheit bei der eigenen Integration in das neue berufliche Umfeld neben technischen Kompetenzen auch das bewusste Einlassen auf soziale Strukturen. Wiederum ist es habitusabhängig, ob der Umgang mit medialen Etiketten und Hierarchien kritisch oder unreflektiert und ob die Aufgabenübernahme aus normativen Zwängen oder eigeninitiativ erfolgt.
Literatur:
Biermann, R. (2013). Medienkompetenz – Medienbildung – Medialer Habitus. Medienim-pulse, 51(4).
Blömeke, S. (2000). Medienpädagogische Kompetenz: Theoretische und empirische Fun-dierung eines zentralen Elements der Lehrerausbildung (1. Aufl.). KoPäd-Verl.
Bourdieu, P. (1982). Die feinen Unterschiede: Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft (22. Aufl., Bd. 658).
Helsper, W. (2018a). Lehrerhabitus: Lehrer zwischen Herkunft, Milieu und Profession. In A. Paseka, M. Keller-Schneider & A. Combe (Hrsg.), SpringerLink Bücher.
Hurrelmann, K., Bauer, U., Grundmann, M. & Walper, S. (Hrsg.). (2015). Pädagogik. Handbuch Sozialisationsforschung (8. Auflage). Beltz.
Kommer, S. (2006). Zum medialen Habitus von Lehramtsstudierenden. Oder: Warum der Medieneinsatz in der Schule eine so ‘schwere Geburt’ ist. In A. Treibel, M. S. Maier, S. Kommer & M. Welzel (Hrsg.), Gender medienkompetent: Medienbildung in einer heterogenen Gesellschaft; (1. Aufl., S. 165–177). VS Verl. für Sozialwiss.
Kommer, S. & Biermann, R. (2012). Der mediale Habitus von (angehenden) LehrerInnen: Medienbezogene Dispositionen und Medienhandeln von Lehramtsstudierenden. In R. Schulz-Zander, B. Eickelmann, H. Moser, H. Niesyto & P. Grell (Hrsg.), Jahr-buch Medienpädagogik 9 (S. 81–108).
Kramer, R.‑T. & Pallesen, H. (2018). Lehrerhandeln zwischen beruflichen und professionel-len Habitus – Praxeologische Grundlegungen und rekonstruktive Perspektiven. In T. Leonhard, J. Košinár & C. Reintjes (Hrsg.), klinkhardt forschung / Studien zur Professionsforschung und Lehrerbildung. Praktiken und Orientierungen in der Lehrerbildung: Potentiale und Grenzen der Professionalisierung
Kuckartz, U. & Rädiker, S. (2022). Qualitative Inhaltsanalyse: Methoden, Praxis, Computerunterstützung (5. Auflage). Grundlagentexte Methoden. Beltz Juventa.
Messner, H. & Reusser, K. (2000). Die berufliche Entwicklung von Lehrpersonen als lebenslanger Prozess. BzL - Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung.
Pecher, H. (2023). Volksschulen als Ermöglichungsraum kompetenter Medienbildung. Vorab-Onlinepublikation.
Pecher, H. (2024): Medienbezogene Entwicklungsfelder von Primarstufenlehrenden (unveröffentlicht)
Rauschenberg, A. & Hericks, U. (2018). Wie sich Lehrerinnen und Lehrer im Berufseinstieg mit Normen auseinandersetzen. Überlegungen aus der Forschungspraxis zu einigen neueren Entwicklungen in der Dokumentarischen Methode. In M. Heinrich & A. Wernet (Hrsg.), Rekonstruktive Bildungsforschung: Band 13. Rekonstruktive Bildungsforschung: Zugänge und Methoden (S. 109–124). Springer VS.
Swertz, C. (2003). Vorüberlegungen zu einer tranzendentalkritischen Medientheorie. Spektrum Freizeit(2), 81–88.
Terhart, E. (2014). Forschung zu Berufsbiographien von Lehrerinnen und Lehrern: Stich-worte. In E. Terhart, H. Bennewitz & M. Rothland (Hrsg.), Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf (2., überarbeitete und erweiterte Auflage, S. 433–437). Waxmann.
Tulodziecki, G. (1998). Entwicklung von Medienkompetenz als Erziehungs- und Bildungs-aufgabe. Pädagogische Rundschau, 52, 693–709.
Tulodziecki, G. (2012). Medienpädagogische Kompetenz und Standards in der Lehrerbildung. In R. Schulz-Zander, B. Eickelmann, H. Moser, H. Niesyto & P. Grell (Hrsg.), Jahrbuch Medienpädagogik 9 (S. 271–297). VS Verlag für Sozialwissenschaften.
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