Sprecher
Beschreibung
Im Zuge digitaler Transformation wird die Gesellschaft der Medienpädagogik zu einer Gesellschaft der Algorithmen. Der Beitrag integriert Medientheorie und Designtheorie und eröffnet in theoriesystematischer Absicht eine medienpädagogische Perspektive auf die algorithmusgetriebene Rekonfiguration gesellschaftlicher Strukturen und die damit assoziierten Handlungsmöglichkeiten des Subjekts. Dazu greift der Beitrag im ersten Schritt die Medientheorien von Heider (2005), Luhmann (1997) und McLuhan (1968) auf und diskutiert deren Potenzial für die Analyse der fortschreitenden Algorithmisierung der Gesellschaft. Im zweiten Schritt wird die Gesellschaft der Algorithmen aus designtheoretischer Perspektive problematisiert. Versteht man Design als Formierung gesellschaftlicher Handlungsmöglichkeiten – als Arbeit an materialisierten Struktur- und Erwartungszusammenhängen (Mareis 2011) –, wird das Design der Schnittstelle Mensch-Maschine zu einer analytischen Kategorie der Medienpädagogik. Die Integration von Medien- und Designtheorie ermöglicht nicht nur eine Antwort auf die Frage, welche Aspekte einer postdigitalen Gesellschaft (Cramer 2014) sich mit Medientheorien beschreiben lassen, sondern auch die Diskussion darüber, für welche Gesellschaft Medienbildung vorbereitet und welche sie ermöglichen soll.
Das Potenzial klassischer Medientheorien für die Analyse der digitalen Transformation zeigt sich, wenn mithilfe von Heider Algorithmen als mediales Substrat der Gegenwart sichtbar werden, aus Sicht von Luhmann algorithmisch generalisierte Medien der Informationsverarbeitung zur Selbstverständlichkeit gesellschaftlicher Zusammenhänge beitragen (Esposito 2021) oder mit McLuhan die algorithmusbasierte Erweiterung des menschlichen Körpers immersive Erfahrungen ermöglicht und die soziale Welt zunehmend hybridisiert (McLuhan 1968). Medienontologische Theorien, die soziale Formgebung in den Blick nehmen, können deshalb als Gesellschaftstheorie(n) für eine postdigitale Gesellschaft verstanden werden. Sie stimmen darin überein, dass Medienhandeln in algorithmisierten Zeiten weniger eine spezifische als eine allgemein gesellschaftliche Praxis ist. Wenn Gesellschaft aber stets medial vermittelt ist, stellt sich die Frage der Literacy nicht ausschließlich im Sinne konkreter Vermittlungs- und Aneignungsziele. Vielmehr ist mindestens in Teilen unklar, was vermittelt werden soll und kann. Der Beitrag schlägt deshalb Design als analytische Kategorie der Medienpädagogik vor, um die Algorithmisierung der Schnittstelle Mensch-Maschine aus Perspektive der Medienbildung in den Blick zu nehmen.
Design lässt sich nicht nur als eine ästhetische Formgebung der Dinge verstehen, sondern im Digitalen (vor allem) als ein Aufzeigen von Handlungsmöglichkeiten. Eine designbezogene Analyseperspektive gibt nicht nur Aufschluss darüber, wie Kommunikation ermöglicht, soziale Strukturen aufgebaut und Handlungs- und Denkweisen gerahmt werden, sondern auch, welche normativen gesellschaftlichen Ansprüche und Modi der Subjektivierung sich daraus ableiten. Durch Design werden „Orientierungs- und […] Identifizierungsangebote“ (Jörissen 2015, S. 228) implementiert und Handlungsmöglichkeiten des Subjekts auf diese Weise konfiguriert (Woolgar 1990). Designte Affordanzen (Gibson 1977) im Self Tracking biometrischer Daten, der Nutzung von Social Media, von Navigationssystemen, von Applikationen auf Smartphones oder in Smart-Home-Anwendungen regen bestimmte Handlungsmöglichkeiten an und selektieren Handlungsspielräume (Airoldi 2021; Wendt 2022). So ist etwa „digital nudging“ (Decuypere & Hartong 2022) als Designelement besonders dazu geeignet, Handlungen – aber auch Weltsichten – in eine bestimmte Richtung zu lenken, um ein Amalgam aus Nutzer*in und der Handlungslogik des Systems zu erzeugen (Klinge 2024). Mit der Systematisierung von Handlungsmöglichkeiten und der Einpassung des Subjekts in Strukturvorgaben durch Design sind aber auch Friktionen und Spannungen verbunden (Danaher 2016), die Forderungen nach Distanznahme oder Entnetzung (Zurstiege 2019) und damit die Frage nach einem Critical Design (Klinge & Tost Val 2024) evozieren. Herausforderungen der Medienbildung stellen sich durch das Design der algorithmisierten Gesellschaft und die Algorithmisierung der Schnittstelle Maschine-Mensch deshalb in Theorie und Praxis zunehmend neu.
Gesellschaftstheoretisch gedeutete Medien- und Designtheorien tragen nicht nur das Potenzial, Gesellschaft und gesellschaftliche Strukturen analytisch zu erschließen. Medien- und Designtheorien formieren gemeinsam ‚socio-media imaginaries‘, die in der Eröffnung performativer Reflexionsräume auch Gestaltungsmöglichkeiten sichtbar machen. In algorithmisierten Zeiten kommt Medienbildung deshalb die Aufgabe zu, Selbst- und Weltverhältnisse nicht nur in der Gegenwart, sondern imaginär auch für alternative Zukünfte zu irritieren und zu flexibilisieren.
Literatur
Airoldi, M. (2021). Machine Habitus. Toward a Sociology of Algorithms. Polity.
Cramer, F. (2014). What Is ‚Post-Digital’? APRJA (3)1, 11-24.
Danaher, J. (2016). The Threat of Algocracy: Reality, Resistance and Accommodation. Philosophy and Technology 29(3), 245-268.
Decuypere, M. & Hartong, S. (2022). Edunudge. Learning, Media and Technology, 48(1), 1-15.
Esposito, E. (2021). Was Luhmann von der Digitalisierung und von Algorithmen schon wusste. In T. Beyes, W. Hagen, C. Pias, M. Warnke (Hrsg.), Niklas Luhmann am OVG Lüneburg. Zur Entstehung der Systemtheorie (127-133). Duncker & Humblot.
Gibson, J. J. (1977). The Theory of Affordances. In R. Shaw & J. Bransford (Hrsg.), Perceiving, Acting, and Knowing. Towards an Ecological Psychology. Lawrence Erlbaum Associates, Inc.
Heider, F. (2005). Ding und Medium. Herausgegeben und mit einem Vorw. vers. von Dirk Baecker. Kadmos.
Jörissen, B. (2015). Bildung der Dinge: Design und Subjektivation. In B. Jörissen & T. Meyer (Hrsg.), Subjekt Medium Bildung (S. 215–233). Springer.
Klinge, D. (2024). Algorithmische Wissenskonstruktionen und designte Vermittlungsweisen
Pädagogische Modi Operandi digitaler Technologie. Beltz.
Klinge, D., & Tost Val, J. (2024). Design als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Medienpädagogik. In digitale Technologien eingeschriebene Zeitgeister, soziale Programmatiken und pädagogische Imaginationen. In C. de Witt & S. Hofhues (Hrsg.), Zukunft mit Medienpädagogik. MedienPädagogik. Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung, 21 (Jahrbuch Medienpädagogik) [Themenheft].
Luhmann, N. 1997. Die Gesellschaft der Gesellschaft. Suhrkamp.
Mareis, C. (2011). Design als Wissenskultur: Interferenzen zwischen Design- und Wissensdiskursen seit 1960. Studien zur visuellen Kultur. transcript.
McLuhan, M. (1968). Die magischen Kanäle. Econ Verlag GmbH.
Wendt, T. (2022). Das Subjekt im Zeitalter digitaler Reproduzierbarkeit. Subjektivierung als Praxis digitaler (Selbst-)Organisation. merzWissenschaft | MEDIEN + ERZIEHUNG, 66(6), 37-48.
Zurstiege, G. (2019). Taktiken der Entnetzung. Die Sehnsucht nach Stille im digitalen Zeitalter. Suhrkamp.
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