19.–20. Sept. 2024
Universität Wien
Europe/Vienna Zeitzone
Das Programm ist online - die Anmeldung ist möglich.

Offen 2 (SE 1): Entgrenzung digitaler Kommunikationskulturen – Analysen zur Mediatisierung schulischer Möglichkeitsräume

Nicht eingeplant
45m
Institut für Bildungswissenschaft (Universität Wien)

Institut für Bildungswissenschaft

Universität Wien

Sensengasse 3a 1090 Wien
1 - 15/15 Vortrag vor Ort

Sprecher

Prof. Dorothee M. Meister (Universität Paderborn) Lukas Dehmel (Universität Paderborn)

Beschreibung

Die Kommunikation über digitale Kontaktwege verschiebt zunehmend die Grenzen innerhalb der Schule – dies ist in den letzten Jahren vielfach beforscht und nachgewiesen worden (vgl. z.B. Tulowitzki/Gerick, 2020; Bastian/Prasse, 2021; Heffernan/Selwyn, 2023). Die Studien zu diesem Thema zeichnen ein Spannungsfeld nach, das sich zwischen einer erheblichen Vereinfachung und Flexibilisierung von Schulorganisation und -information auf der einen Seite und einer gleichzeitigen Beschleunigung und Vervielfachung von Kommunikation sowie der Aufweichung der Grenzen zwischen Arbeits- und Privatzeit von Lehrkräften und Schulleitungen auf der anderen bewegt (vgl. ebd.). Diese Grenzbewegungen im Kontext von schulischen Digitalisierungsprozessen sind empirisch inzwischen gut belegt. Wenig bekannt ist allerdings nach wie vor darüber, wie dieses Spannungsfeld innerhalb der Schulpraxis ausgehandelt wird und welchen Wandel dies innerhalb von Schulkulturen mit ihren Norm- und Regelsystemen nach sich zieht.

Mit diesem Fokus beschäftigt sich eine Studie, die im Kontext eines vom BMBF/NextGenerationEU-finanzierten lernen:digital-Projektes umgesetzt wird. Für die theoretische Perspektive schließt die Studie an eigene Vorüberlegungen (Autor:innen, 2023) zur Kombination des Mediatisierungsansatz aus der Kommunikationswissenschaft (Krotz, 2017) mit dem Möglichkeitsraumkonzept der Schulkulturtheorie (Helsper, 2008) an. Mediatisierung beschreibt „den Wandel von Alltag, Kultur und Gesellschaft im Kontext des Wandels der Medien“ (Krotz 2017, S. 14). Der Ansatz interessiert sich somit weniger für technische Medienentwicklungen, sondern fokussiert die auch für die Studie wichtigen sozialen Entgrenzungsbewegungen, die mit den technischen Medienentwicklungen einhergehen. Helspers Ansatz interpretiert „Schulkultur“ als sozial ausgestaltete „Möglichkeitsräume“ mit schulspezifischen Norm- und Regelsystemen, die von den jeweiligen Akteur:innen (z.B. Lehrkräften, Schulleitungen, Schüler:innen, Eltern usw.) in der Schulpraxis ausgestaltet werden und gleichzeitig auf das Handeln dieser Akteur:innen zurückwirken (Helsper, 2008). Unter dieser theoretischen Perspektive beschäftigt sich die Studie mit der Frage, wie sich solche schulischen Möglichkeitsräume im Zuge von Digitalisierungs- und den daran anschließenden Mediatisierungsprozessen verändern und welche Anforderungen dies an die medienbezogene Schulentwicklung stellt. Mit dem gesetzten theoretischen Fokus nimmt die Studie an, dass sich (digitale) Kommunikationstechnologien im Kontext der Mediatisierung schulischer Möglichkeitsräume nicht neutral verhalten. Vielmehr nehmen sie aktiven Einfluss darauf, wie und worüber kommuniziert wird und prägen dabei insbesondere auch die Gestaltung von professionellen Beziehungen (mit Blick auf die Messenger-Kommunikation zwischen Lehrkräften und Schüler:innen hat dies z.B. Karsch, 2022 aufgezeigt). Dabei liegt der Fokus unserer Studie insbesondere auf den unintendierten und manchmal wenig bewussten „Nebenwirkungen“ digitaler Kommunikation.

Zur Beantwortung der aufgegriffenen Forschungsfrage wurden qualitative Daten an einem Gymnasium, einer Gesamt- und einer Grundschule erhoben. An allen drei Schulen verfügen die Lehrkräfte über ein eigenes Dienst-iPad, alle Schulangehörigen haben eine schulische Mailadresse und alle drei Schulen haben mit MS Teams bzw. Sdui eine Kommunikationsplattform eingerichtet, die auch über eine Messenger-Funktion verfügt. Zudem stehen Lehrkräfte und Schulleitungen über verschiedene private Messengerkontakte miteinander in Verbindung. Die Voraussetzungen an den Schulen sind für die Erforschung digitaler Kommunikation also ausgesprochen günstig. Konkret wurden an allen drei Schulen Einzelinterviews mit den Schulleitungen sowie mit ihren Stellvertretungen, Gruppendiskussionen und Einzelinterviews mit Lehrkräften und Gruppendiskussionen mit Eltern der schulischen Elternpflegschaften geführt. Die Auswertung erfolgte im Anschluss in zwei Schritten. Um zunächst die zentralen Themen im Kontext der Mediatisierung schulischer Möglichkeitsräume zu bestimmten und dabei das gesamte Sample mit einbeziehen zu können, wurden die Datenmaterialien mit der Thematic Analysis (Braun/Clarke, 2006) durchgearbeitet. Die in den Fokus geratenden zentralen Themen dieser Analyse wurden anschließend mithilfe von MaxQDA geclustert. Um die schulischen Möglichkeitsräume genau zu bestimmten, wurden die entsprechenden Passagen anschließend einer vertiefenden Analyse mit der Objektiven Hermeneutik (Wernet, 2009) – als bewährter Methode im Kontext der Schulkulturanalyse (vgl. Helsper et al., 2001) – unterzogen.

Der Vortrag fokussiert exemplarisch zwei Phänomene, die für die Möglichkeitsräume in allen drei Schulen herausgearbeitet werden konnten. Das erste betrifft die Entstehung einer digitalen Notrufbereitschaft, die sich unterschwellig in die Kommunikation innerhalb des Lehrkräftekollegiums und mit der Schulleitung einschleicht, obwohl alle Beteiligten die Einhaltung von gegenseitigen Privatzeiten sehr betonen. Das zweite bezieht sich auf eine halbschulische Kommunikation. Es beschreibt die Entstehung von uneindeutig gerahmten Beziehungen in den Möglichkeitsräumen der Lehrkräftekollegien, was es für Lehrkräfte extrem schwierig macht, sich von der medienvermittelten Arbeitskommunikation abzugrenzen.

Literatur
Bastian, Jasmin/Prasse, Doreen (2021): Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule mit digitalen Medien. In: Zeitschrift MedienPädagogik, 42, S. 349-379.

Braun, Virginia/Clarke, Victoria (2006): Using thematic analysis in psychology. In: Qualitative Research in Psychology 3(2), S. 77-101.

Heffernan, Amanda/Selwyn, Neil (2023): Mixed Messages. The enduring significance of email in school principal’s work. In: The Australian Educational Researcher 50(2), S. 255-272.

Helsper, Werner/Böhme, Jeanette/Kramer, Rolf-Torsten/Lingkost, Angelika (2001): Schulkultur und Schulmythos. Rekonstruktionen zur Schulkultur I. Opladen: Leske + Budrich.

Helsper, Werner (2008): Schulkulturen. Die Schule als symbolische Sinnordnung. In: Zeitschrift für Pädagogik 54(1), S. 63-80.

Karsch, Philip (2022): Schule und digitale Kommunikationskultur. Antinomien des Lehrer*innenhandelns zwischen Privatheit und Professionalität. Wiesbaden: Springer VS.

Krotz, Friedrich (2017): Mediatisierung. Ein Forschungskonzept. In: Krotz, Friedrich/ Despotović, Cathrin/Kruse, Merle-Marie (Hrsg.): Mediatisierung als Metaprozess. Transformationen, Formen der Entwicklung und die Generierung von Neuem. Wiesbaden: Springer VS, S. 13-32.

Tulowitzki, Pierre/Gerick, Julia (2020): Schulleitung in der digitalisierten Welt. Empirische Befunde zum Schulmanagement. In: DDS 112(3), S. 324-337.

Wernet, Andreas (2009): Einführung in die Interpretationstechnik der Objektiven Hermeneutik. 2. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag.

Poster Nein

Hauptautoren

Prof. Dorothee M. Meister (Universität Paderborn) Lukas Dehmel (Universität Paderborn)

Präsentationsmaterialien

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